Ein Krokodil taucht ab (und ich hinterher) by Nina Weger

Ein Krokodil taucht ab (und ich hinterher) by Nina Weger

Autor:Nina Weger
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Verlag Friedrich Oetinger
veröffentlicht: 2015-08-06T16:00:00+00:00


Mississippi-Alligatoren sind perfekte Tarnungskünstler. Durch ihren dunklen, fast schwarzen Rückenpanzer sind sie in Sumpf- und Waldgebieten, aber auch im trüben Wasser kaum zu erkennen. Jungtiere weisen zum besseren Schutz im Ufergebiet zusätzlich zehn bis elf gelbe Querbänder über dem Schwanz und vier bis fünf über dem Körper aus.

14. Eine böse Überraschung

In den nächsten Tagen durchkämmten wir mit unserem Floß Kanal für Kanal und drangen immer weiter zu dem großen Klärwerk vor. Noch zweimal fanden wir ein Häufchen Krokodilkacke, und eines davon war sogar ziemlich frisch. Abends, wenn wir von unseren Expeditionen heimkehrten, zeichnete ich die zurückgelegte Strecke und die Fundstellen der Spuren in eine große, extra von mir angefertigte Karte ein. Zusätzlich führte ich ein stichwortartiges Tagebuch. So behielt ich den Überblick und konnte auch Tage später noch nachvollziehen, wie weit ich in welchen Tunnel gegangen war. Außerdem war ja nicht ausgeschlossen, dass ich die Aufzeichnungen eines Tages für meine Forschungsarbeit brauchen konnte. Meines Wissens hatte nämlich bisher noch niemand die Spur eines Krokodils in der Kanalisation verfolgt und wissenschaftlich dokumentiert.

Meistens begleitete mich jetzt nur noch ein Teil der Bande bei der Suche. Schließlich gab es auch noch den Alltag im Gewölbe: Es musste gekocht, geputzt und gewaschen werden. Außerdem wollte Kara weiter an einer Verbindung zu einem Stromnetz arbeiten und brauchte dafür ebenfalls Unterstützung. So zogen wir üblicherweise nach dem Frühstück mit nur einem Floß und drei oder vier Mann Besatzung los. Den Weg durch die Postbahn fand ich mittlerweile blind, und auf dem ersten Stück der roten Route musste ich die Kreuzungen nicht mal mehr zählen. Ich kannte jede Abzweigung.

Seit fast zwei Wochen lebte ich nun unter der Erde. Mein Körper hatte sich in dieser Zeit an den umgekehrten Tag-Nacht-Rhythmus gewöhnt, und meine Augen sahen immer besser in der Dunkelheit. Wenn ich morgens aufwachte, musste ich nicht mehr überlegen, wo ich war. Im Gegenteil: Ich konnte mir kaum noch vorstellen, dass ich vor gar nicht langer Zeit jeden Morgen zur Schule gegangen war. Und wenn wir abends alle zusammen auf den Luftmatratzen im Schlafflügel lagen und Leos Schattenspiel verfolgten, dann war das für mich genauso gemütlich wie ein Fernsehabend auf dem Sofa. Merkwürdigerweise störte mich das Chaos, das hier unten herrschte, überhaupt nicht. Es gab ja nie pünktlich zu essen, sondern dann, wenn die meisten Hunger hatten oder wir von einem Ausflug zurückkamen. Die Anziehsachen wechselten wild durcheinander, und eine feste Frühstückstasse hatte auch keiner. Trotzdem war ich glücklich. Wir waren eine richtige Familie. Jeder half mir auf seine Art, meinen kleinen Alligator wiederzufinden, und mit jedem Tag kamen wir diesem Ziel ein Stückchen näher. Ich glaubte ganz fest daran, Orinoko bald wiederzusehen.

So beunruhigte es mich auch nicht, als wir unsere neunte Erkundungstour frühzeitig abbrechen mussten. Durch einen Strudel war unser Floß gegen den Steg des großen Kanals geschmettert worden. Leo war bei diesem Schleudermanöver der Besenstiel aus der Hand gerutscht, und ehe wir nach ihm greifen konnten, hatte ihn die Strömung davongerissen. Nur mit Mühe hatte ich uns an eine ruhige Stelle bugsiert, von der wir auf den gemauerten Absatz klettern konnten.



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